חיים באר:
לפני המקום
Chaim Be’er: Bebelplatz
Der Roman Bebelplatz (lifnej hamakom, „Vor dieser Stätte“ heb. 2007, dt. 2010) spielt im Sommer 2006 in Berlin im bibliophilen Milieu ziemlich zwielichtiger jüdischer Antiquare und Bouquinisten. Er beschreibt die Begegnungen des israelischen Autors mit deutscher Kultur und mit Juden, die in Deutschland leben. Die Dialoge zwischen Rappoport, einem 70-jährigen, in Berlin geborenen und nach dem Krieg dorthin zurückgekehrten Judaika-Händler, und dem Autor drehen sich um das Verhältnis von Juden und Deutschen heute, ausgehend von der Erkenntnis, dass jeder nun mal Neffe oder Sohn von irgendwem – von einem Mörder oder einem Ermordeten ist.
Wenn Juden über „die Deutschen“ reden
Solch gewichtige Themen werden in endlosen Gesprächen sehr detailreich und oft mit schwarzem Humor geradezu leichtfüßig behandelt. Dabei ist es dem Autor wichtig, dass deutsche Leser hören können, wie Juden unter sich über „die Deutschen“ reden. Das Unbehagen, etwas zu belauschen, was eigentlich nicht für einen bestimmt ist, soll entstehen und bestehen bleiben.
Auch der vorliegende Roman ist in dem für Be’er so typischen Hebräisch voll historischer und religiöser Bezüge geschrieben, doch macht der Autor hier erstmals Zugeständnisse an eine neue Generation israelischer säkularer Leser, die vieles davon nicht erkennen, indem er selber als Erzähler verschiedene Formulierungen und Anspielungen erklärt.
התרגום
Die Übersetzung
Der kulturelle Reichtum dieses Romans, der eben nicht nur auf die alte jüdische Textkultur anspielt, sondern das jüdische Leben in Deutschland und Israel nach der Shoah thematisiert, sollte die Übersetzung zwar nicht belasten oder gar beherrschen; er ist andererseits aber das unabdingbare Fluidum, in dem allein dieser anspielungsreiche Roman sich entwickeln kann!
Be’ers Kommentarschiene ausgebaut
Im Gespräch über diese Problematik erklärte sich der Autor bereit, nun noch einen Schritt weiter zu gehen und die im Original schon angelegte Kommentarschiene des Erzählers auch dazu zu nutzen, den Text für die mit jüdischer Kultur und jüdischen Befindlichkeiten weniger vertrauten Leser noch expliziter zu erschließen.
Daraus ergab sich ein völlig neuer Arbeitsschritt, in dem ich nach der Rohübersetzung mit dem Autor alle meiner Meinung nach erklärungsbedürftigen Stellen besprach und ihm Änderungen oder Ergänzungen vorschlug, die wir dann gemeinsam entwickelten.
Erklärungen in Dialoge eingeflochten
Zum einen flochten wir, wie das Original es ohnehin schon tat, wo möglich Erklärungen in die Dialoge ein. Zum anderen schrieben wir viele hübsche Stellen regelrecht um, damit ihr unterschwelliger Witz erhalten blieb und ohne Hilfestellung rüberkam.
So haben wir etwa eine Wechselrede aus Versen eines mittelalterlichen hebräischen Poems, mit der zwei gelehrte Juden einander imponieren wollen, durch einen entsprechenden Dialog aus den Versen eines auf Deutsch besser bekannten Kapitels der Psalmen ersetzt, dessen Witz deutsche Leser nun ohne Erklärung erkennen können.
Viel Vorsicht und Kopfzerbrechen
Dieses für die Übersetzerin doch ungewohnte und – obgleich ich vom Autor die Lizenz dazu hatte – riskante Unterfangen, Neues hinzuzudichten, erforderte viel Vorsicht und Kopfzerbrechen.
Durch die deutsche Übersetzung existieren nun zwei Versionen des Romans: Das Original, bei dem der Autor ganz darauf baut, dass der jüdisch gebildete Leser viel nur Angedeutetes selbst erahnen und erkennen kann und für sich weiterdenkt, und eine Übersetzung, eine Art „Fortschreibung“ zusammen mit dem Autor, in der er an einigen besonders leisen, aber für das Verständnis entscheidenden expliziter ist als im Original.
Nachwort von Anne Birkenhauer zu „Bebelplatz“, Berlin-Verlag 2010.