שרה שילה

Sara Shilo

Sara Shilo, geboren 1958 in Jerusalem, entstammt einer Familie irakisch-syrischer Einwanderer. Sie lebt in Nordgaliläa, an der Grenze zum Libanon, war zunächst Sozialarbeiterin und gründete und leitete dann ein berühmtes Puppentheater. Mit 40 begann sie, ihren ersten Roman zu schreiben.

Ich lebe an der Grenze. Und die Gefahr, der ich mich dadurch ausgesetzt sehe, ist nicht nur eine physische, die mein und das Leben meiner Liebsten bedroht. Ich fürchte vielmehr, dass die Detonation der Katjuschas all diese anderen, ganz unterschiedlichen Stimmen schluckt. Im Kriegszustand verschmelzen die Menschen zu einer Masse. Im Schreiben erringe ich die für mich notwendige Entflechtung dieser amorphen Realität, ich kehre zurück zum Einzelnen.

Foto:©Eyal Tsadik

הכתיבה

Das Werk

Sarah Shilo lässt in ihrem Roman Zwerge kommen hier keine (schum gamadim lo javou, heb. 2005, dt. 2009) eine Bevölkerungsgruppe vor uns erstehen, die erst in den letzten Jahren eine eigene literarische Stimme bekommt: Die ab 1950 aus den arabischen Ländern nach Israel eingewanderten Juden, die geballt in wirtschaftlich unterentwickelten kleinen Orten an der Peripherie des Landes (hier an der Nordgrenze) angesiedelt wurden, wo sie schlechte Bildungschancen und nur sehr begrenzte berufliche Möglichkeiten hatten.

HeldInnen marokkanischer Herkunft

Doch Shilo geht einen gewaltigen Schritt weiter als ihre bisherigen Schriftstellerkollegen, indem sie ihre HeldInnen marokkanischer Herkunft Ende der 1970er-Jahre in deren eigener Sprache zu Wort kommen lässt, in einem fehlerhaften Hebräisch, durchsetzt von Lehnübersetzungen aus dem Marokkanischen und Arabischen.

In eben dieser Sprache beschreiben fünf sehr unterschiedliche Figuren (die Mutter ist 40, die im Roman auftretenden Kinder sind 12, 13, 16 und 19) ihre ganz eigene innere Welt, und wie sie in der Aussichtslosigkeit ihrer persönlichen Situation mit der ständigen Bedrohung durch Katjuschas und infiltrierte Terroristen aus dem Libanon zu Rande kommen, und formulieren die Wünsche, Träume und Geschichten, die sie am Leben halten.

התרגום

Die Übersetzung

Wie soll man einen Roman, bei dem die Sprache der ProtagonistInnen derart drastisch auf eine so spezifische Realität verweist, in eine Sprache und Kultur übersetzen, die diese Realität nicht kennt? Wie würden marokkanische Einwanderer nach einer Generation in Deutschland sprechen? Welchen eigenen Dialekt hätten sie entwickelt, wenn sie in relativ abgeschiedenen, kleinen Städten leben würden?

Anders als die LeserInnen des Originals assoziieren deutschsprachige Leser mit diesen sprachlichen Fehlern keine Gesichter, Tonfälle oder Szenen, die ihnen sagen: Ja, der O-Ton stimmt. Der Roman mit seiner äußeren und inneren Welt muss deshalb in der Übersetzung ganz und gar aus dem Sprachduktus seiner „HeldInnen“ entstehen. Er ist kein Prototyp, den man in einen anderen sozialen Kontext versetzen kann, sondern im Gegenteil ein Plädoyer für die Individualität seiner Figuren.

Ganz eigene Sprache erschaffen

Ich habe deshalb versucht, für diese Figuren und ihre Realität eine ganz eigene Sprache zu schaffen und dabei kaum, und wenn dann nur soziologisch und zeitlich unmarkiert Slang verwendet, sondern versucht, auf grammatischer Ebene durch Auflösen komplexer Satzgebilde, Beiordnung von Nebensätzen, Nichtbeachtung von Konjunktiven, Genitiven und Dativen einen fiktiven unangepassten, ungrammatischen Grundton zu erzeugen.

Neben diesen grammatikalischen Entscheidungen habe ich versucht, eine im Brechtschen Sinne gestische Sprache zu schreiben, die ganz im Hier und Jetzt verankert ist und nicht weit vorausdenkt, eine Syntax, die Emotionen und Gedanken nicht diskursiv beschreibt, sondern sie im Ausdruck wiedergibt. In den deutschen Monologen ersetzt diese Sprache die Gesten, die die Leser des Originals durch ihre Kenntnis der gesellschaftlichen Realität, vor Augen haben.

הספר

Das Buch

Zwerge kommen hier keine. dtv-premium 2009.

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