Autor Chaim Be'er

חיים באר: חבלים

Chaim Be’er: Stricke

Die Sprache des autobiografischen Romans Stricke (Chavalim, heb. 1998, dt. 2000) ist die Sprache von Menschen, die seit Generationen in den ultraorthodoxen Kreisen Jerusalems leben.

Obwohl Be’ers Eltern nicht mehr orthodox sind, sind seine Kindheitserinnerungen mit den Assoziationen orthodox lebender Juden getränkt. Dauernd werden Stellen aus dem Talmud und den Gebetbüchern zitiert, es wird auf traditionelle jüdische Bräuche und biblische Geschichten angespielt.

In ein und demselben Absatz kann der Autor aber auch in seine moderne Sprache springen, wenn er Vergangenes aus heutiger Sicht kommentiert. Hier werden nicht nur verschiedene Zeiten, sondern immer wieder auch ganz verschiedene Sprachebenen ineinandergeschoben. Dadurch bekommen die Szenen sehr unterschiedliche sprachliche Texturen, was das Poetische des Romans ausmacht: Be’er erzählt seine Geschichte in Mosaikstücken, und jedes Mosaikstück enthält nicht nur einen bestimmten Ausschnitt der Geschichte, sondern beschreibt ihn auch sprachlich in seinem ganz spezifischen Idiom.

התרגום

Die Übersetzung

Die Übersetzung jedes Absatzes begann mit dem Recherchieren sämtlicher Zitate, auch kleinster Floskeln und ihrer Kontexte. Die ganz in der jüdisch-orthodoxen Kultur verankerte Sprache sollte in eine nichtjüdische Kultur übersetzt werden, in der die einzige gemeinsame Texttradition beider Kulturen, die des Tenach (des „Alten Testaments“), nur noch wenig und gewiss nicht im Detail präsent ist. Deshalb habe ich alle in den Text eingestreuten Zitate und Wendungen kursiv gesetzt, damit allein schon optisch erkennbar wird, dass hier dauernd sprachliche und damit auch inhaltliche Anleihen an andere Texte, jüdische Traditionstexte, gemacht werden. Oft habe ich auch ein sehr kurzes Zitat aus den Psalmen, das für meine Leser nicht einzuordnen gewesen wäre, um einen Vers verlängert, so dass sich der atmosphärische Kontext der Stelle ohne weitere Erklärungen „von selbst“ ergab.

Luther für den „biblischen“ Ton

Da Be’ers Figuren ganz selbstverständlich aus dem Wortschatz des Tenach schöpfen und das nirgends erklären, wollte ich, dass die deutschsprachigen Leser zumindest den „biblischen“ Ton dieser Formulierungen erkennen. Deshalb habe ich keine der jüdischen Übersetzungen verwendet, sondern Luthers Verse (aus der 1961 redigierten Fassung), die viele zumindest aus Bachkantaten vielleicht noch ihm Ohr haben und deren Ton noch am ehesten als eigene Sprachschicht innerhalb des Deutschen wahrgenommen wird. Wo Luther zu christologisch deutend übersetzt, habe ich natürlich eingegriffenת und seine Schreibung des Gottesnamens „der Herr“ durch das seit Moses Mendelssohn übliche „der Ewige“ ausgewechselt.

Untertöne aus alten Texten

In der letzten Phase der Übersetzung änderte sich die Zusammenarbeit mit dem Autor noch einmal auf eine interessante Art: Sein Wortschatz enthält viele seltene oder heute ganz und gar ungebräuchliche Ausdrücke aus der jüdischen Traditionsliteratur, und so wusste ich oft nicht, welche Untertöne dort mitschwangen, ob sie dem Gesagten einen eher zynischen Einschlag gaben oder einen eher liebevollen, mitfühlenden.

Da es in dem ganzen Roman um diese Mischung von Nähe und Distanz gegenüber der eigenen Familie und ihren Mythen geht, war dies die zentrale Frage, die letztlich darüber entschied, ob die Leser die Beschreibung dieser befremdlichen Welt mit ihren ungewohnten Bräuchen als Schlüsselloch-Pornografie lesen werden, oder als einen sehr offenen, anteilnehmend und reflektierend aus der Innensicht geschriebenen Roman.

Hilfreiches Vorlesen mit übertriebener Betonung

Für diese Arbeit am Ton bat ich den Autor meist nur, mir den Satz einmal mit übertriebener Betonung vorzulesen, um daraufhin vielleicht noch einige Abtönungspartikel einzufügen oder die Syntax ein bisschen zu verändern. Dies war für uns beide ein besonders erfreulicher Arbeitsschritt und der Beginn einer fruchtbaren Zusammenarbeit bei seinen weiteren Büchern.

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Weiterlesen

Federn. dtv-premium 2002.
Bebelplatz. Berlin Verlag 2010.