Autor David Grossman

דויד גרוסמן:
סוס אחד נכנס לבר

David Grossman:
Kommt ein Pferd in die Bar

David Grossmans Roman Kommt ein Pferd in die Bar [sus echad nichnass le-bar, heb. 2014, dt. 2016] versetzt die Leser in die Rolle von Zuschauern eines Standup-Comedy-Abends in einem ziemlich miesen Etablissement vor Kleinstadtpublikum. Es herrscht die klassische Einheit von Zeit, Ort und Handlung. Die Witze des Comedian Dovele Grinstein reißen einen nicht vom Hocker, und die Stimmung, die er mit seinem dauernden Wechsel von plumper Anbiederung, sarkastischer Distanz und persönlich verletzenden Beleidigungen erschafft, ist so bedrückend, ja unheimlich, dass man am liebsten gleich wieder gehen will.

Niveaulose Sprache als Mittel der Täuschung

Grossman zieht hier nun wieder ganz neue sprachliche Register: Dovele verwendet eine unverbindliche, abgestumpfte, niveaulose Sprache als Mittel der Täuschung oder der Verletzung und verführt sein Publikum dazu, mit der von ihm demonstrierten Verdrängung von Schmerz zu kollaborieren. Dieser Dynamik kann man sich auch lesend schon bald nicht mehr entziehen, und die Rätselhaftigkeit von Doveles Figur lässt einen nicht los. In dieser äußerst unangenehmen Atmosphäre outet sich Dovele in der zweiten Hälfte des Romans und erzählt die Szene aus seiner Jugend, die sein ganzes weiteres Leben verpfuscht hat.

התרגום

Die Übersetzung

Dovele ist von Anfang an eine schillernde, in sich gebrochene Figur; er markiert den Primitivling, macht sich selbst lächerlich, doch seine sprachlichen und körperlichen Gesten verraten zwischendurch immer wieder, dass er ein durchaus gebildeter, sensibler Mann und ein hochbegabter Schauspieler und Artist ist. Diese Doppelbödigkeit musste von Anfang an auch in der Übersetzung sprachlich angelegt werden, damit sich Dovele später aus seiner Maske glaubhaft als der herausschälen kann, als der er sich im zweiten Teil präsentiert.

Viele Anspielungen deutschsprachigen Lesern nicht vertraut

Viele Anspielungen beziehen sich auf eine deutschsprachigen Lesern nicht vertraute gesellschaftliche und politische Realität, sei es die allgemeine Verrohung durch die Besatzung der palästinensischen Gebiete, sei es die Präsenz von Shoah-Überlebenden im Alltag oder der sehr viel direktere, öffentliche Umgang mit starken Emotionen. Auch die hier besonders ausgeprägte Dynamik des Dialogs, bei dem der Comedian sein Publikum zum Reagieren, Antworten und Mitsingen animiert, kennt man von deutschsprachigen Comedy-Abenden so nicht.

Ich konnte kaum Erklärungen unterfüttern, denn ich musste einen rasend schnellen Text schreiben, eine Syntax, die nach vorne drängt, die beim ersten Hören funktioniert. Nicht nur die Pointen, auch die vielen Anspielungen mussten sofort sitzen, damit sie im Moment auf der Bühne einschlugen.

Scheinbar primitiv, aber tatsächlich literarisch hochreflektiert

Die Übersetzung fiel mir hier wesentlich schwerer als bei Grossmans vorigen, sehr viel literarischeren Büchern. Dieses nur scheinbar primitive, aber eben doch literarisch hochreflektierte Original verlangte auch in der Übersetzung eine sehr niedere Umgangssprache, die mir in der nötigen Ausdrucksvielfalt nicht zur Verfügung stand, obwohl ich in diesen Monaten in Berlin lebte und ganz von deutscher  Umgangssprache umgeben war. Ich spürte, mein Repertoire an Slang, Idiomatik und mündlicher Syntax reichte nicht aus, um die Bühnenpräsenz und die Schlagkraft einer solchen Performance zu erreichen.

Hilfe für Slang von Pieke Biermann

Der Wendepunkt kam bei einem Gespräch mit der Übersetzerin Pieke Biermann, der ich den Anfang des Romans zu lesen gab. Sie schrieb die ersten Seiten um, die wir dann gemeinsam analysierten, um herauszufinden, wie ich meinen mündlichen Stil systematisch verbessern konnte. Nachdem der Verlag zustimmte, sie als Außenlektorin zu beschäftigen, ermöglichte mir Pieke in der anschließenden Lektoratsphase den Zugriff auf ihren Wortschatz mit einer unglaublichen Bandbreite von Slang und Idiomatik, und ich prüfte, was davon tatsächlich in Doveles Sprache passte, um das Spezifische dieses völlig neuen Grossman-Tons möglichst präzise wiederzugeben.

Auch zu diesem Roman haben wir ein Seminar mit David Grossman und allen an der Übersetzung arbeitenden Kollegen im Internationalen Übersetzerkollegium in Straelen veranstaltet.

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Laudatio Lothar Müller zum Paul-Celan-Preis an Anne Birkenhauer (pdf)

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