חיים באר:נוצות
Chaim Be’er: Federn
Chaim Be’ers erster Roman, Federn (Nozzot, heb. 1988, dt. 2002), spielt in den fünfziger Jahren in Jerusalem. Er beschreibt die Kindheit eines Jungen, der sich als einziges Kind seiner alten Eltern eher zu älteren Freunden hingezogen fühlt. Während die Eltern seine Freundschaft mit ihrem guten Bekannten, dem alten Totengräber Riklin, gerne sehen, protestieren sie, als der Junge zusehends in den Bann eines sonderbaren Utopisten gerät.
Bizarre Träumer und Weltverbesserer
Mordechai Leder, ebenfalls im Alter der Eltern, verdient sich seinen kargen Unterhalt als Einsammler des Geldes aus den Spendenbüchsen für die Blindenanstalt und kommt so in der ganzen Stadt herum. Er ist einer der vielen bizarren Träumer und Weltverbesserer, die in den fünfziger Jahren zum Jerusalemer Stadtbild gehörten, seien es Vegetarier unterschiedlichster ideologischer Richtungen, begeisterte Anhänger des Esperanto, Trotzkisten, Salonkommunisten, Nationalisten unterschiedlicher Couleur oder Royalisten.
Eifernder Prophet mit nur einem Anhänger
Leder will die Utopie des Wiener Sozialreformers Josef Popper (Lynkeus) verwirklichen, die das Problem des Hungers auf der Welt durch die zentrale staatliche Verteilung einer Mindestmenge lebensnotwendiger Grundnahrungsmittel mit Hilfe einer Nährarmee lösen will. Leder tritt als eifernder, oft lächerlicher Prophet dieser Heilslehre auf und findet bei all seinen Versuchen keine weiteren Anhänger als den treuen zehnjährigen Jungen, den Ich-Erzähler des Romans, der sehr genau beobachtet, „wie die edelsten Ideen und Utopien beim Auftreffen auf den harten Boden der Realität zerschellen“.
התרגום
Die Übersetzung
Ich hatte erwartet, dass ich bei der Übersetzung des Romans Federn, der im Grunde in einem ganz ähnlichen Milieu wie Stricke spielt, viel stilistisches Werkzeug, das ich mir bei der letzten Übersetzung erarbeitet hatte, wiederverwenden könnte. Im hebräischen Stil der beiden Romane besteht nur ein feiner, gradueller Unterschied; in der Übersetzung jedoch ein viel größerer.
Weltverbesserer im Zentrum
Wie kam es dazu? Viele Figuren beider Romane sind zwar tief in der jüdischen religiösen Kultur und Sprache verankert, doch während in dem zuerst übersetzten autobiografischen Roman Stricke die Entwicklung des Erzählers aus den engen religiösen Kreisen hinaus eines der Hauptthemen ist, das auch sprachlich dargestellt wird, stehen Im Zentrum stehen von Federn die verschiedenen Weltverbesserer, die sich in den 50er Jahren im neu entstehenden Staat Israel tummelten. Dass sie alle noch traditionelles Hebräisch sprechen ist historisch bedingt, für den deutschsprachigen Leser aber nicht relevant. Deshalb bat das Lektorat in Absprache mit dem Autor und mir darum, in diesem Roman in der Übersetzung das spezifisch Jüdische im Ausdruck zurückzunehmen.
Während ich mich in Stricke bemüht habe, viele der jüdisch traditionellen Anspielungen rüberzubringen und elegant fehlendes Hintergrundwissen zu unterfüttern, wäre das bei Federn völlig falsch gewesen, da dies den Personen eine viel zu dominante religiöse Komponente gegeben hätte. So konnte ich meine schönen Tricks zur Übertragung dieses spezifischen kulturellen Kontexts nicht mehr benutzen, wodurch der Text zunächst an Tiefenschärfe verlor. Ich musste die sprachliche Charakteristik der Figuren ganz neu konzipieren.
So gut wie keine religiösen Termini
Eines der sprachlichen Merkmale dieser Übersetzung ist, dass sie so gut wie keine religiösen Termini benutzt, also statt Kiddusch – „der Segen über Brot und Wein“, statt Ketuba – „Ehevertrag“ etc. schreibt. Es ist ein Roman über das Jerusalem der fünfziger Jahre; die Handlung enthält viel Lokalkolorit, die Sprache ist aber viel weniger „jüdisch“ als sonst bei Chaim Be’er.