Autor David Grossman

דויד גרוסמן:
אשה בורחת מבשורה

David Grossman:
Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Grossman schrieb den Roman Eine Frau flieht vor einer Nachricht (ischa borachat mi-bessora, heb. 2008, dt. 2009) während der drei Jahre des Pflicht-Wehrdienstes seines zweiten Sohnes Uri, um ihm möglichst nahe zu sein.

Er beschrieb in der Figur der Heldin Ora die Ängste einer Mutter, die ihren Sohn Ofer nicht daran hindern kann, sich freiwillig zu einem militärischen Einsatz zu melden, und die im Vorgefühl, dass er nicht zurückkommen wird, von zu Hause flieht, um die befürchtete Nachricht seines Todes nicht entgegennehmen zu müssen. Gegen diese Ängste, die viele israelische Eltern kennen, schreibt Grossman in diesem Roman an.

Ora flieht mit ihrem Jugendfreund Avraham und erzählt ihm auf ihrer langen Wanderung Ofers Leben, ein gleichsam magischer Akt, der ihn in der Gefahr, in der er sich befindet, schützen soll, denn solange von ihm erzählt wird, kann Ofer nicht sterben.

Realität überholt grausam die Fiktion

Doch dann überholt die Realität die Fiktion des Romans grausam, als Grossmans Sohn Uri im August 2006 in den letzten Stunden des Libanonkrieges fällt. Grossman, für den Schreiben immer ein politischer Akt des Widerstands ist, musste erleben, dass sein einziges Mittel des Kampfes, die Sprache, versagt.

Grossman ist seinen Gestalten so nah, dass einem beim Lesen die Stimmen von Ora und Avram, den beiden Protagonisten, manchmal durcheinandergeraten können: Man ist nicht mehr sicher, wer gerade geredet oder womöglich auch nur gedacht hat.

„Osmose“ zwischen den Menschen

Als ich das ansprach, antwortete Grossman, das sei durchaus beabsichtigt, denn in Israel seien die Grenzen zwischen den Menschen gar nicht so klar, wie wir es manchmal gern hätten. Wir lebten hier in einem Zustand dauernder „Osmose“ und seien in unserem Schicksal so eng aneinander – und ebenso an die Palästinenser – gebunden, und zwar unabhängig davon, was unsere persönlichen politischen Einstellungen seien und was uns augenscheinlich voneinander trenne.

התרגום

Die Übersetzung

Der Roman ist, abgesehen von seiner sehr präsenten Geografie, Flora und Fauna, tief im israelischen Alltag der letzten 40 Jahre verwurzelt: Sei es die Atmosphäre der ideologischen Jugendbewegungen der 60er-Jahre, seien es Kinderlieder, Filme, Zitate aus der hebräischen Literatur, Radiosendungen, Slang oder Fachterminologie vom Militär, seien es politische Ereignisse oder typische Szenen des israelisch-palästinensischen Konflikts. All diese Anspielungen helfen den Lesern des Originals, sich in den vielen Zeitsprüngen zu orientieren. Für mich heißt es, dauernd kleine Zusatzinformationen einzuflechten, um den Lesern meiner Übersetzung, die diese Codes nicht erkennen, die Orientierung zu erleichtern.

Emotionale Auseinandersetzung der ÜbersetzerInnen

Ich möchte hier aber auch über einen anderen Aspekt meiner Arbeit reden, den ÜbersetzerInnen selten thematisieren: Nämlich unsere eigene emotionale Auseinandersetzung mit einem Text und ihr Einfluss auf die entstehende Übersetzung. Dies sind innere Vorgänge, mit denen wir bei Büchern wie diesem umgehen müssen in der Hoffnung, dass ein Echo dieses persönlichen Prozesses in der Übersetzung Widerhall findet.

Schon bei früheren Übersetzungen war es oft eine schwierige Erfahrung, die Autoren in meinen „Resonanzraum“ eintreten und ihre Gestalten in meiner Stimme lebendig werden zu lassen. Doch war es immer eine auf die Zeit der Arbeit begrenzte Erfahrung gewesen. Ich wusste beim Übersetzen, ich würde in meine eigene Lebenswirklichkeit zurückkehren, nicht unbedingt jeden Abend, nicht immer unversehrt, aber am Ende doch „heil“.

Einzig angemessener Ausdruck für die Realität

Nach und nach erlebte ich bei diesem Roman, dass die von Grossman als „Osmose“ beschriebenen fließenden Übergänge zwischen den Stimmen der einzelnen Gestalten, und auch die zwischen ihm als Erzähler und seinen Gestalten, wesentlich mehr als nur ein literarisches Prinzip sind. Sie sind der präziseste und einzig angemessene Ausdruck für die Realität, in der wir in Israel leben, also auch außerhalb des Romans.

Wenn ich abends das Buch zuschlage und den Computer abstelle, kann ich „der Lage“ nicht entfliehen, deren Einbruch ins Leben des Einzelnen dieser Roman so schonungslos beschreibt.

Kein Ort mehr für sichere Distanz

Einerseits musste ich beim Übersetzen hautnah herangehen, andererseits musste ich mich auch immer wieder auf Distanz zu dem entstehenden deutschen Text begeben, ihn kritisch betrachten, hinterfragen, redigieren. Doch für diese Distanz gab es keinen sicheren Ort mehr. Wo hätte der sein können, nachdem das Leben die Fiktion des Romans bereits überholt hatte? Das Schwierigste beim Übersetzen dieses Romans war, mir sechzehn Monate lang eine Illusion zu schaffen, in der ich kritische Distanz zu etwas halten konnte, zu dem ich längst jede Distanz verloren hatte.

Laudation Helmut Frielinghaus zum Albatros-Preis an Anne Birkenhauer (pdf)

Laudatio Patricia Reimann zum Jane Scatcherd-Preis an Anne Birkenhauer (pdf)

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