Cover Zeruya Shalev Roman "Schicksal"

צרויה שלו
פליאה

Zeruya Shalev: Schicksal

Im Winter 2018 fragte mich Zeruya Shalev, ob ich bereit sei, ihren nächsten Roman mit dem Arbeitstitel Schicksal zu übersetzen. Ihre langjährige Übersetzerin Miriam Pressler war damals schon sehr krank und konnte nicht mehr weiterarbeiten.

Ich sagte nicht gleich zu, denn ich hatte einen Vorbehalt: Ich war mir unsicher, ob ich mich der inneren Welt von Zeruyas Heldinnen wirklich anverwandeln könnte. Ich sagte ihr ganz ehrlich: Mir fehlt es in der Art, wie du deine Figuren erzählst, an Wärme, Verständnis und Solidarität mit ihnen (was auf Hebräisch alles in dem Ausdruck Chessed enthalten ist), trotz ihrer Schwächen. Und sie meinte nach kurzem Überlegen: Aber in meinen Büchern steckt so viel Chessed! Siehst du das denn nicht? Und für dich werde ich noch mehr hineintun!

So beschlossen wir, der Sache eine Chance zu geben. Zeruya schickte mir die ersten beiden Kapitel, und diese Exposition aus der radikal subjektiven Perspektive der beiden Protagonistinnen nahm mich gefangen. Ich wollte wissen, wie es mit diesen beiden Frauen weitergeht, wollte ihre innere Welt kennenlernen und begann schon beim ersten Lesen zu überlegen, wie sich dieser mit eindeutig biblischen Vokabeln gespickte Text, der eine eigentümlich schwebende Atmosphäre evozierte, wohl auf Deutsch wiedergeben ließe. 

In diesem Roman kreuzen sich dramatisch zwei ganz unterschiedliche Frauenschicksale: Erzählt wird er parallel aus der Sicht der heute neunzigjährigen Siedlerin Rachel, die vor der Staatsgründung Israels als junges Mädchen in der radikalen jüdischen Untergrundgruppe Lechi für einen jüdischen Staat und gegen die britische Besatzung kämpfte, und aus der Sicht der neunundvierzigjährigen Atara, der späteren Tochter von Meno Rubin, Rachels ideologischem Kampfgefährten und zugleich Jugendgeliebten, der sich nach einjähriger Ehe noch während des Kampfes ohne Begründung von ihr hatte scheiden lassen.

Das Hebräisch von Shalev ist durchsetzt von heute selten verwendeten und deshalb nicht abgegriffenen, poetisch starken Wörtern und Formulierungen aus dem Tenach (dem Alten Testament), mit denen sie aber nicht etwa auf deren ursprüngliche Kontexte verweisen will. Sie benutzt diesen Wortschatz vielmehr in areligiöser, säkularer Absicht; sie will damit in ganz persönlichen, oft intimen Momenten emotionale Intensität erzeugen.

Ich möchte nicht, dass hier der Eindruck entsteht, dass mein Leben um den Tenach kreist, das ist nicht der Fall, aber ich bin zweifellos in dem Gefühl groß geworden, dass dieses Buch vor mir offenliegt, nicht als verpflichtender religiöser Text, sondern als literarischer Schatz und Inspiration.  
Zeruya Shalev

התרגום

Die Übersetzung

Bei der Übersetzung ging es vor allem um zwei Dinge: Wie sollte ich diesen vielen Wörtern und Wendungen aus den alten jüdischen Quellen gerecht werden, ohne beim deutschen Publikum den Eindruck zu erwecken, dass es sich bei den Protagonistinnen um religiöse Menschen handelt?

Außerdem musste ich eine deutsche Entsprechung für eine andere Eigenheit des literarisch einmaligen Stils von Zeruya Shalev finden:

Von Anfang an hatte ich auffällige Wortwiederholungen beobachtet: Verschiedene kleine Formulierungen, die eine Atmosphäre der Vagheit und der Schicksalhaftigkeit schufen, aber auch bedeutungstragende Wörter, die überraschend mal bei Rachel und dann wieder bei Atara auftauchten, schienen die beiden Figuren auf ganz subtile Weise miteinander zu vernetzen. Dadurch entstand der Eindruck, dass diese Frauen und auch ihre Angehörigen über drei Generationen hinweg mehr gemeinsam haben, als alle Beteiligten ahnen.

Ich verfolgte Dutzende solcher Wörter durch den ganzen Roman und legte lange Listen der möglichen Übersetzungen für sie an, um – wenn ich irgendwann das Ende des Romans erreichen würde – entscheiden zu können, welche Übersetzung schließlich für die „Vernetzung“ am besten geeignet sein würde oder zu entdecken, dass Zeruya damit nichts weiter im Sinn gehabt hatte.

Und tatsächlich fand sich zum Beispiel die Begründung für das wiederkehrende Wort „Detail“ erst im letzten Kapitel des Romans. Wichtiger aber als das Verfolgen jedes einzelnen Fadens dieser Netze ist die Tatsache, dass sie existieren und für den Roman von Bedeutung sind.

Auf der Seite von „Toledo – Übersetzer*innen im Austausch der Kulturen“, einem Programm des Deutschen Übersetzerfonds gefördert durch die Robert Bosch Stiftung, schreibt Anne Birkenhauer ausführlich über ihre Übersetzung von Zeruya Shalevs Schicksal. Lesen Sie mehr unter diesem Link

הספרים

Die Bücher

Interimscover Buch Schicksal
Schicksal. Berlin Verlag 2021.
Cover des Buches "Nicht ich" von Zeruya Shalev, übersetzt von Anne Birkenhauer
Nicht ich. Piper Verlag 2024. (Erscheint am 2. Januar 2024)

Mehr erfahren über …

Jehuda Amichai

Aharon Appelfeld

Gabriela Avigur-Rotem

Chaim Be’er

Tomer Gardi

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Yitzhak Laor

Eshkol Nevo

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Sara Shilo

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