צרויה שלו
רקדתי עמדתי
Zeruya Shalev: Nicht ich
Zeruya Shalevs Erstling (rakadeti amadeti) „Ich tanzte. Ich stand“, der 2024 auf Hebräisch erneut erscheinen wird, war bei seinem Erscheinen 1993 ein absolut avantgardistischer Text; die israelische Literaturkritik und auch die Leser waren damals nicht bereit, sich auf so einen Text einzulassen. Mit seiner radikal offenen Infragestellung aller Frauenrollen, seiner barock-kunstvollen Sprache, einer so bedrohlich chaotischen Erzählstruktur – und all das von einer wütenden jungen Autorin aus gutem Haus – konnte man in Israel nicht umgehen. Es hagelte Verrisse. Tatsächlich handelt es sich dabei um einen sprachlich anspruchsvollen, oft grotesken, absurden und komischen Text, den gnadenlosen Monolog einer verzweifelten jungen Mutter, eine Art Seelen-Strip oder Stand-Up Tragödie, mal klagend, mal anklagend, mal Liebe erflehend, mal ihre Geliebten verhöhnend – den aggressiven Klagegesang einer Frau, die alles verloren hat.
Viele Versionen von Frau-Sein
Die Icherzählerin schildert in vielen einander widersprechenden Versionen ihr wütendes Leiden an dem Absurdum von Muttersein, Tochtersein und ihren wie auch immer gearteten Beziehungen zu Männern.
Viele Szenen sind absolut surrealistisch und wunderbar skurril, dabei spürt man die ganze Zeit den echten Schmerz dieser Existenz als Frau-Geliebte-Mutter-Tochter, den sie noch über die äußerste Grenze hinaus treibt. Die Erzählerin strebt nicht nach Lösung oder Heilung, sucht vielmehr Leserinnen, die sie dorthin begleiten und sich mit ihr dieser Qual aussetzen. In einer solchen Atmosphäre verlieren die Vektoren von Zeit und Raum ihre Bedeutung.
התרגום
Die Übersetzung
Zeruya Shalev hatte ihren Erstling nach 30 Jahren für die Übersetzung zwar leicht überarbeitet, doch bereits bei unserem ersten Gespräch, nachdem ich etwa die Hälfte des Romans übersetzt hatte, wurde klar, dass ein großer Teil der erzählerischen Zusammenhänge, der inneren Logik nicht rübergekommen war. Wichtige Zusammenhänge existierten nur im Kopf der Autorin und hatten keinen Niederschlag im Text gefunden. Das damalige israelische Lektorat einer Serie avantgardistischer Texte hatte nicht versucht, diese tieferen Zusammenhänge mit ihr gemeinsam stärker herauszuarbeiten.
Ich hatte unter anderem keinen Zeitstrahl erkennen können, da dieser so oft durch Rückblenden gebrochen und durch alternative Narrative völlig auf den Kopf gestellt wird, hatte dies aber zunächst für einen Bestandteil der gewählten Erzählform gehalten, der das innere Chaos der Heldin widerspiegelt. Es war Zeruya Shalev aber – zumindest heute – wichtig, dass die innere Entwicklung der Figur für die Leserinnen und Leser wenigstens teilweise nachvollziehbar ist. Den Text, den ich übersetzen sollte, mussten wir also erstmal gemeinsam herstellen, und zwar in mehreren Runden. So wurde ich zur Lektorin der neuen Bearbeitung.
Ein klares Bild nach 30 Jahren
Zum Glück hatte die Autorin selbst nach dreißig Jahren ein ziemlich klares inneres Bild von dieser chaotischen Geschichte, das ich nach und nach aus ihr herausfragte und das wir gemeinsam einarbeiten konnten, denn dieser Roman war, wie sie mir versicherte, von Anfang an nicht als Rätselschrift gemeint; auch wenn die Erzählform das verwischt, liegt ihm ein ziemlich klar umrissener Ablauf zugrunde.
Ich ließ mir von ihr die zeitlichen Zusammenhänge erklären, die wir dann vor allem durch mehrmaliges Umstellen der knapp 90 Szenen und das Neuschreiben kleinerer Passagen verdeutlichen konnten, ohne dem Text seinen chaotischen Charakter zu nehmen.
Überraschendes Problem beim Übersetzen
Obwohl die Handlung in einer zeitlosen fiktiven Außenwelt verankert ist, ergab sich beim Übersetzen des im Grunde 30 Jahre alten Textes ein für mich überraschendes Problem: In ihrer Verletztheit verwendet die Icherzählerin grobe Beschimpfungen, ohne zu merken, wie sehr sie sich dabei der diskriminierenden Sprache der tonangebenden jungen weißen und gesunden Mehrheit bedient. Heute wird so etwas anders gelesen, aber dafür gab es vor 30 Jahren noch keine Sensibilität, schon gar nicht in einem die bürgerlichen Konventionen sprengenden Avantgarderoman. Als ich Zeruya daraufhin ansprach, meinte sie, diese Ausdrucksweise sei überhaupt nie gegen einzelne Gruppen gemeint gewesen, und bestand darauf, diese Stellen auch in der hebräischen Neufassung anders zu formulieren.
Beim Übersetzen, das natürlich zunächst der Versuch war, der Ich-Erzählerin zu folgen, machte ich eine sehr verstörende Erfahrung. Weil sich aus ihren widersprüchlichen Versionen kein „stimmiges“ Bild ergab und ich mich, in Bezug auf das, was „wirklich“ geschehen war, nicht auf sie verlassen konnte, ertappte ich mich dabei, dass ich mich immer wieder an die Versionen der Männer – des Geliebten, des Liebhabers, des Vaters – halten wollte, die mir zunächst konsistenter vorkamen, und merkte, dass ich die Heldin damit im Grunde verriet. Aber genau dieses Unbehagen, das sich vielleicht auch bei den Leserinnen und Lesern der Übersetzung einstellt, gehört mit zum Verstörenden bei der Lektüre.
הספרים
Die Bücher
Schicksal. Berlin Verlag 2021.
Nicht ich. Berlin Verlag 2024.
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