גבריאלה אביגור-רותם
Gabriela Avigur-Rotem
Gabriela Avigur-Rotem wurde 1946 in Buenos Aires geboren und lebt seit 1950 in Israel. Sie lehnte es über Jahre ab, dass ihre Romane ins Deutsche übersetzt würden.
Erst recht dieses Buch, bei dem es unterschwellig dauernd um die Auswirkungen des Massenmordes an den europäischen Juden auf die sich gerade formierende Gesellschaft im neu gegründeten Staat Israel geht: um das Schweigen der Überlebenden, die oft nicht wussten, wie sie über das Erlebte sprechen, wie sie davon ihren Kindern erzählen sollten.
Foto: ©Itamar Rotem
הכתיבה
Das Werk
Der Roman Loja [Chamssin weZipporim meschuga’ot (Hitze und verrückte Vögel), heb. 2001, dt. 2008] ist gewiss einer der bedeutendsten Romane der modernen hebräischen Literatur. Es handelt sich um den durchgehenden Bewusstseinsstrom der 1949 geborenen Heldin Loja, die achtzehnjährig Israel verließ und erst nach 27 Jahren in die kleine Stadt ihrer Kindheit und Jugend zurückkehrt, um ein schwieriges Erbe anzutreten. Oberstes literarisches Kriterium ist die Authentizität von Lojas Bewusstseinsstrom.
Die anderen Figuren sind stark durch ihre Redeweisen charakterisiert: Das sprachliche Lokalkolorit der fünfziger Jahre enthält die ganze Bandbreite von Slang und ungrammatischer Sprechweise, die gerade bei Neueinwanderern zu finden war; etwa bei der Besitzerin eines kleinen Lebensmittelladens, Frau Morgenstern, deren Jiddisch in ihrem gebrochenen Hebräisch durchscheint.
התרגום
Die Übersetzung
Lojas Bewusstseinsstrom referiert laufend auf Ereignisse der israelischen Gegenwart und Vergangenheit, auf kulturelle Entwicklungen, Trivia, charakteristische Radioprogramme, religiöse wie nationale Feiertage. Es ruft bei den hebräischen Lesern unzählige, oft winzige aber äußerst präzise Assoziationen wach, die diese, zumal wenn sie Avigur-Rotems Generation angehören, genau in Zeit und Raum verorten können. Dieser ganze biografische Erfahrungshorizont des Lebens in Israel fehlt den deutschen Lesern und kann, weil die literarischen Form des Bewusstseinsstroms eingehalten werden muss, nicht so leicht wie in anderen Romanen beim Übersetzen nebenher miterklärt werden.
Bei meinen Gesprächen mit der Autorin, die die Übersetzung begleiteten, gab sie mir freie Hand, den deutschsprachigen Lesern, bei denen diese ganzen Details erst einmal gar nichts evozieren, die Orientierung zu erleichtern. Sie bestand allein auf der radikalen Form des Bewusstseinsstroms.
Besondere Herausforderung: Lied-Collagen
Eine besondere Herausforderung waren drei Collagen aus kurzen Liedzitaten, die im Zusammenhang mit dem israelischen Gefallenengedenktag und dem unmittelbar darauf folgenden Unabhängigkeitstag stehen. Die Hebräer können anhand der aus dem Radio aufgeschnappten Liedfetzen geradezu die Tageszeit ablesen, denn dieser Übergang vom Trauertag zum Nationalfeiertag zeichnet sich im Wechsel von Liedern über die Gefallenen vergangener Kriege zu den fröhlichen, optimistisch gestimmten Liedern des Unabhängigkeitstages ab.
Dies sind vielleicht die Seiten des Romans, die am stärksten auf israelischen Codes beruhen; hier spiegelt sich – mit großer Leichtigkeit und durchaus mit Humor – das israelische National- und Geschichtsbewusstsein der letzten 60 Jahre, ohne dass es in diesen kurzen Zitaten selbst explizit ausgesprochen würde.
Zu einer Liedstrophe verdichtet
Deshalb habe ich mich entschieden, jedes der vielstrophigen Lieder zu einer einzigen Liedstrophe zu verdichten, die seine jeweilige Stimmung explizit wiedergibt. Aus diesen neu geschaffenen, fiktiven israelischen Liedstrophen habe ich dann längere Stellen zitiert, die das aussprechen, was die originalen Zitate nur indirekt evozieren. Sie sind alle im selben Versmaß und reimend geschrieben, damit man sie leichter als Verse erkennt, und ich habe sie wie echte Zitate kursiviert. Ein zugegeben ziemlich aufwendiges Verfahren, um bei den Lesern der Übersetzung mit ähnlichen literarischen Mitteln wie das Original annähernd ähnliche Bilder wachzurufen.
Ein Stipendium des Deutschen Übersetzerfonds gab mir die finanzielle Sicherheit, in Ruhe schöpferische Lösungen für die vielen stilistischen Herausforderungen dieses Romans zu suchen, der gewiß einer der bedeutensten Romane der modernen hebräischen Literatur ist.