אשכול נבו
Eshkol Nevo
1971 in Jerusalem geboren, aufgewachsen in Israel und Detroit/USA. Bei unserer Buchvorstellung auf der Leipziger Buchmesse erzählte er, er sei als Kind mit seinen Eltern oft umgezogen und deshalb stets ein Fremder, ein Neuer, ein vorsichtiger Beobachter von außen geblieben. Dieses Gefühl hat ihn nie verlassen und ist vielleicht die Wurzel der präzisen, oft ironisch gebrochenen Psychologie, mit der er seine Figuren charakterisiert.
הכתיבה
Das Werk
Der leicht und amüsant zu lesende Roman Vier Häuser und eine Sehnsucht (arba batim we-gaagua, heb. 2004, dt. 2006) zeichnet auf sensible Art am Beispiel von vier Familien in einem vor allem von orientalischen Einwanderern bewohnten Vorort Jerusalems ein detailreiches Bild der israelischen Gesellschaft nach der Ermordung von Jizchak Rabin. Die authentischen Stimmen seiner sechs jungen, ganz unterschiedlichen Figuren vermitteln ungeschönte Einblicke in den komplexen Alltag des Landes.
Der Roman besteht aus kurzen Kapiteln, in denen jeweils eine der sechs Stimmen in der ersten Person spricht oder aber eine allwissende Erzählerstimme distanziert berichtet.
התרגום
Die Übersetzung
Die erste Herausforderung bestand darin, vier etwa sechsundzwanzigjährige Israelis aus unterschiedlichen Milieus, einen zwölfjährigen Jungen und einen älteren Araber in ihren Monologen mit den sprachlichen Mitteln des Deutschen plastisch werden zu lassen.
Wie umgehen mit typisch israelischen Codes?
Im Original geschieht ein Großteil ihrer Charakteristik über typisch israelische soziale Codes, die sich auch darin zeigen, wer kurdische oder arabische Wörter einstreut, welche jüdischen Redewendungen oder Bräuche bemüht, welche traditionellen Speisen gekocht werden. Solche Details fungieren in der israelischen Einwanderergesellschaft als soziologische „Marker“. Was tun, wenn deutsche Leser die lokalen israelischen Talkmaster, Schönheitsköniginnen, Fernsehprogramme oder Schlager aber meist nicht kennen?
So mussten zum einen für diverse Realien deutsche oder globale Entsprechungen gefunden werden, ohne dass der Eindruck entsteht, das Ganze spiele in Deutschland; zum andern mussten die aus dem Original übernommenen Realien so eingebettet werden, dass deutscher Leser sie soziologisch richtig zuordnen können.
Reime über Seiten hinweg im Original
Die zweite Herausforderung waren die besonderen Kapitel aus der Perspektive des allwissenden Erzählers, von dem der Autor mir sagte, er sei keine Figur sondern eigentlich eine Melodie. Sie sind in normaler Prosa geschrieben, reimen sich aber oft über Seiten hinweg, gerade an eher traurigen Stellen, um den Ernst einer Situation zu überspielen. Auf Hebräisch ergeben sich viele grammatische Reime automatisch, so dass sie den Lesern erst gar nicht auffallen und sie sich dann auch nicht sicher sind, ob die Reime tatsächlich gezielt gesetzt wurden.
Deutsche Entsprechung mit reimlosen Versen
Da der Reim meines Erachtens auf Deutsch gerade entgegengesetzte Assoziationen wecken würde und über insgesamt 80 Seiten auch viel zu aufwendig und zu dominant gewesen wäre, habe ich mich entschlossen, diese Kapitel in reimlose Verse zu übersetzen, wobei ich Heines schwermütige Balladen im Ohr hatte. Ich habe die Erzählerstimme zunächst in vierhebige Trochäen umgeschrieben und diese Verse dann wieder zu einem durchgehenden „Prosatext“ aneinandergehängt, so dass das Metrum nun nicht mehr auf den ersten Blick erkennbar ist. Die Leser lassen sich vielmehr unterschwellig von diesem epischen Rhythmus tragen.
Ein besonderer Aspekt der Übersetzungskunst ist ja, die verborgenen Hinweise und Zusammenhänge des Originals den Lesern in der Zielsprache nicht aufzudecken, sondern sie dort so zu verstecken, dass sie sie selbst irgendwann entdecken können.
Arbeitsblatt Eshkol Nevo „Vier Häuser und eine Sehnsucht“ (pdf)